Taxonomie – was ist das?
Die EU-Taxonomie-Verordnung (EU) 2020/852 vom 18. Juni 2020 legt fest, unter welchen Voraussetzungen eine wirtschaftliche Tätigkeit als ökologisch nachhaltig gilt. Zentrale Voraussetzung für eine „grüne“ Investition ist danach, dass die Investition einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem von sechs Umweltzielen leistet, ohne ein anderes Umweltziel erheblich zu beeinträchtigen. Darüber hinaus muss die Tätigkeit bestimmten technischen Bewertungskriterien entsprechen, die auf der Grundlage der Taxonomie-Verordnung von der EU-Kommission festgelegt werden, und Mindestanforderungen in Bezug auf Menschenrechte und Arbeitsorganisation genügen.
Im Einzelnen sind folgende Umweltziele für die Einstufung als nachhaltig relevant:
• Eindämmung des Klimawandels,
• Anpassung an den Klimawandel,
• Nachhaltige Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen,
• Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft,
• Verhütung und Kontrolle der Umweltverschmutzung,
• Schutz und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme.
Zu den beiden Klimazielen (Ziele eins und zwei) wurde bereits ein Erster Delegierter Rechtsakt von der EU-Kommission erlassen, der technische Bewertungskriterien enthält. Aus dem Bereich der Abfallwirtschaft wurde dabei die stoffliche Verwertung nicht gefährlicher Abfälle, die anaerobe Vergärung von Bioabfall und die Kompostierung sowie die Deponiegasabscheidung auf geschlossenen Deponien geregelt.
Die EU-Kommission wird bei der Erarbeitung der technischen Bewertungskriterien durch die Plattform „nachhaltige Finanzierung“ unterstützt. Diese hat im April 2022 einen Bericht für technische Kriterien für die anderen vier Umweltziele vorgelegt. Von besonderer Relevanz für die Abfallwirtschaft sind insbesondere die Umweltziele „Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft“ sowie „Verhütung und Kontrolle der Umweltverschmutzung“. Auf Basis dieses Berichts wird die EU-Kommission 2022 einen Zweiten Delegierten Rechtsakt zur Taxonomie vorschlagen und nach Beteiligung des Europäischen Parlaments und des Rates verabschieden.
Die Plattform besteht hauptsächlich aus Bankenvertretern, NGOs und Teilen der Wirtschaft. Die Abfallwirtschaft wird lediglich durch einen Vertreter der Recyclingindustrie vertreten.
Umweltziele Kreislaufwirtschaft und Verhütung von Umweltverschmutzung nicht vollständig erfasst
Die Plattform „nachhaltige Finanzierung“ hat in ihrem im April 2022 vorgelegten Bericht für den Zweiten Delegierten Rechtsakt die Behandlung gefährlicher Abfälle, die Sortierung und stoffliche Verwertung nicht gefährlicher Abfälle, die Sammlung und den Transport gefährlicher sowie nicht gefährlicher Abfälle und die Phosphorgewinnung aus Klärschlamm als aufzunehmende Tätigkeiten für das Umweltziel „Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft“ vorgeschlagen. Als Beitrag zur „Verhütung und Kontrolle der Umweltverschmutzung“ werden die Sanierung oder Beseitigung illegaler Deponien und Gruben sowie die Behandlung gefährlicher Abfälle genannt.
Was bisher fehlt sind Kriterien für die Behandlung von Abfällen, die nicht als gefährlich klassifiziert sind, aber nicht recycelbar sind und – etwa auf Grund ihrer Kontamination – der thermischen Behandlung bedürfen, um die Schadstoffe und Pathogene (z.B. Abfälle, die Persistente Organische Schadstoffe enthalten oder Krankenhausabfälle) sicher zu zerstören.
Abfallvermeidung und Recycling haben Priorität, aber nicht alle Abfälle können vermieden oder recycelt werden. Die EU-Mitgliedstaaten sind sehr unterschiedlich, wenn es um die nötige Infrastruktur für eine umweltgerechte Abfallbehandlung geht. Während einige Mitgliedstaaten hohe Recyclingquoten erreichen und über Abfallverbrennungsanlagen für nicht recycelbare Restabfälle verfügen, hängen andere noch sehr stark von der Deponierung ab.
Diese Länder, die eine funktionierende Infrastruktur für die Abfallbewirtschaftung noch entwickeln müssen, suchen in den Vorschlägen zur Taxonomie vergeblich nach Hinweisen für die Behandlung der nicht recycelbaren Restabfälle.
Keine nachhaltige Taxonomie ohne Behandlung der Restabfälle
Die fortschrittlichsten nationalen Abfallwirtschaftsmodelle in der Europäischen Union, die hohe Recyclingraten erzielen, haben für die entstehenden Restabfälle eine entsprechende Infrastruktur von Abfallverbrennungsanlagen. Dies stellt sicher, dass Restabfälle aus der Sortierung und dem Recycling verlässlich und umweltgerecht behandelt werden.
Die Mitgliedstaaten, insbesondere solche, die noch stark von der Deponierung abhängen, werden in alle höheren Stufen der Abfallhierarchie investieren müssen, um die EU-Abfallziele, die für 2035 gesetzt sind, zu erfüllen. Sie werden eine Finanzierung brauchen, um die Restabfallbehandlung in ihrem Land zu meistern, die eine unabdingbare Voraussetzung für hochwertiges Recycling ist. Denn die Recyclingunternehmen benötigen einen sicheren und umweltgerechten Entsorgungsweg für ihre Behandlungsrückstände. Dies ist die Rolle der Abfallverbrennung.
Dabei versteht es sich von selbst, dass sichergestellt sein muss, dass Abfallverbrennungsanlagen so geplant und betrieben werden, dass sie in Einklang mit der Abfallhierarchie stehen, d.h. Abfallvermeidungs- und Recyclingziele erreicht werden.
Abfallverbrennung unabdingbar für Kreislaufwirtschaft, Klimaschutz und Verhütung von Umweltverschmutzung
Die Abfallverbrennung ist nicht nur bis zur vollständigen Verwirklichung von Ökodesignanforderungen für Produkte aller Art, sondern auch noch Jahrzehnte danach bis zum Ende der Nutzungsdauer zuvor in Verkehr gebrachter Produkte ein unabdingbarer Bestandteil einer sicheren und klimaschonenden Kreislaufwirtschaft. Sie vermeidet nicht nur die Deponierung von Abfällen, die verwertet werden können, sondern nutzt die entstehende Abwärme (Waste-to-Energy) sowie die Extraktion von Metallen und die Bereitstellung mineralischer Ersatzbaustoffe aus der Verbrennungsasche. Darüber hinaus ermöglicht die Abfallverbrennung in vielen Bereichen eine Sektorenkopplung. In Wuppertal beispielsweise wird aus der in der Abfallverbrennungsanlage generierten Energie Wasserstoff erzeugt, der die Verwendung von Diesel in Bussen und bald auch in Abfallsammelfahrzeugen ersetzt und so zum klimafreundlichen Stadtverkehr beiträgt. Die Abscheidung von Kohlenstoff und dessen Nutzung, z.B. zur Methanolgewinnung für die chemische Industrie oder, falls kein Markt vorhanden ist, die langfristige Kohlenstoffspeicherung, ist ein Weg, der die Abfallverbrennung in Zukunft nicht nur weiterhin klimaneutral stellt, sondern darüber hinaus CO2 Emissionen aus der Atmosphäre nimmt und damit „CO2 negativ“ ist.
Die thermische Abfallbehandlung nicht in die Taxonomie aufzunehmen, würde den vielerorts bestehenden Status Quo einer hohen Abhängigkeit von der Deponierung weiter festschreiben. Daher müssen jetzt die notwendigen Bewertungskriterien festgelegt werden, die eine Anwendung der thermischen Abfallbehandlung für die nicht recycelbaren Stoffströme in einem nachhaltigen Kontext erlauben. Diese Kriterien sind auch im Sinne der Entsorgungssicherheit unerlässlich.
Bei der Festlegung solcher Kriterien ist die Einschränkung des Artikels 17 der Taxonomie-Verordnung zu beachten, dass die aufgenommenen Tätigkeiten zu keiner erheblichen Beeinträchtigung eines der Umweltziele führen dürfen. Das Umweltziel „Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft“ wäre demnach beeinträchtigt durch eine „deutliche Zunahme bei der Erzeugung, Verbrennung und Beseitigung von Abfällen“. Allerdings muss diese Anforderung konkretisiert werden. Wenn beispielsweise die Verbrennung von Abfällen mit Energie- und Sekundärrohstoffgewinnung eine Deponie ersetzt, so dürfte dies zwar mit einer deutlichen Zunahme der Verbrennung verbunden sein, allerdings ist dies dann eine nachhaltige Tätigkeit und dient der Kreislaufwirtschaft, dem Klimaschutz und der Verhinderung von Umweltverschmutzung. Auch fehlt bisher eine Referenz, auf welchem Level sich dieses vage Kriterium der „deutlichen” Zunahme bezieht: regional, national, unionsweit? Nach seinem Wortlaut schließt Artikel 17 der Taxonomie-Verordnung jedenfalls nicht jede Zunahme der Abfallverbrennung aus, sodass eine aus ökologischen Gründen gerechtfertigte Zunahme als nachhaltig eingestuft werden kann. Aus den vorgenannten Gründen sollte Artikel 17 bei der nächsten Novellierung der Taxonomie-Verordnung klargestellt werden.
Die Europäische Union sollte die Gelegenheit nutzen, Kriterien für die nachhaltigste Behandlung von nicht recycelbaren Restabfällen festzulegen, unter Berücksichtigung der Abfallhierarchie und der Besten Verfügbaren Technik. Die thermische Behandlung dabei zu ignorieren, führt zu Lücken im Abfallbewirtschaftungssystem und zu Umweltrisiken, da
- dies zu Behandlungen in unteren Stufen der Abfallhierarchie führt oder gar zu (häufig auch illegalen) Exporten in Regionen mit niedrigerem Umwelt- und Sozialstandard,
- hochwertiges Recycling auf Grund des Fehlens einer Schadstoffsenke für die nicht recycelbaren Rückstände nicht erreicht werden kann.
Die Stoffe, die zurück in die Kreislaufwirtschaft fließen, haben ohne die thermische Abfallbehandlung keine Schadstoffsenke für die verschmutzten Restabfälle. Dies ist durchaus vergleichbar mit dem Ausfall der Reinigungsfunktion der Nieren im menschlichen Körper. Das Fehlen einer Schadstoffsenke würde die Erreichung der ambitionierten Nachhaltigkeitsziele Europas vereiteln. Es sei auch darauf hingewiesen, dass ein Rechtsgutachten von PwC die energetische Verwertung als grundsätzlich taxonomiekonform beurteilt, wenn Kriterien hierfür entwickelt werden.
Es wäre daher wünschenswert, dass die Europäische Kommission diese Option weiterentwickelt und, was bisher kaum geschehen ist, Experten aus der Abfallbranche einbezieht, um sachgerechte Kriterien für die nachhaltige taxonomiekonforme Behandlung von Restabfällen zu entwickeln.
Kriterien für nachhaltige Abfallverbrennung entwickeln
Es ist zu betonen, dass die Finanzierung neuer Abfallverbrennungsanlagen eingebettet sein muss in eine umfassende Abfallbewirtschaftungsstrategie unter Berücksichtigung der Abfallhierarchie, wobei Anreize zu Abfallvermeidung, insbesondere zur Wiederverwendung, und Recycling geschaffen und die Abfallbeseitigung auf ein Minimum limitiert werden müssen. Dies ist die Voraussetzung einer taxonomiekonformen Finanzierung von Abfallverbrennungsanlagen und der Vermeidung kontraproduktiver Entwicklungen bezüglich der Erreichung der Ziele der EU-Gesetzgebung und der Ziele für nachhaltige Entwicklung.
Die DGAW tritt für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft und Entsorgungssicherheit ein und fordert die Europäische Kommission auf, technische Kriterien für die Behandlung nicht recycelbarer Restabfälle in Abfallverbrennungsanlagen aufzustellen, um die Lücke hin zu einer wirklich nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu schließen und Optionen zu verhindern, die Menschen und die Umwelt gefährden.
Für den Bau von Abfallverbrennungsanlagen könnten diese Kriterien anlagenbezogen (z.B. hohe Effizienz), betreiberbezogen (z.B. „EMAS“) sowie systemspezifisch (z.B. Abfallbewirtschaftungspläne, die die Abfallhierarchie, getrennte Abfallsammlung, Aufbau von Recyclingkapazitäten umsetzen) sein. Denkbar wäre auch eine Prüfungspflicht, ob eine Kohlenstoffabscheidung am Standort sinnvoll ist.
Bei der Entwicklung geeigneter technischer Bewertungskriterien bietet die DGAW mit ihren Wissenschaftlern und Experten aus der Praxis Unterstützung an, um die Taxonomie-Kriterien für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft und wirksame Verhütung von Umweltverschmutzung auf ein wissenschaftlich tragfähiges und faktenbasiertes Fundament zu stellen.
Weitere Informationen in der DGAW-Geschäftsstelle.
Das Positionspapier haben wir Ihnen außerdem hier als PDF beigefügt.